Konfuzianismus und Menschenrechte
Kategorie: Vorträge und Lesungen
CIUB-Vorträge
Konfuzianismus und Menschenrechte
Dr. Rafael Suter
Rhetorisch stellt sich die gegenwärtige Führung der Volksrepublik China wieder stärker in die marxistisch-leninistisch-maoistische Tradition. Wenngleich damit das Experiment der Ära Hu Jintao und Wen Jiabao zumindest vorläufig vorüber scheint, propagandistisch offen an konfuzianische Losungen und damit das China vor dem 20. Jh. anzuschliessen, wird doch immer noch auf die chinesische Kultur verwiesen, wenn einer Nichtübertragbarkeit eines scheinbar „westlichen“ Verständnisses der Menschenrechte auf chinesische Verhältnisse das Wort geredet wird.
Während die einen so die Menschenrechte als etwas Unchinesisches darstellen, gilt es den anderen als ausgemachte Sache, dass die Menschenrechte mit der konfuzianischen Tradition auch in China eine zweitausendjährige Geschichte haben. Beides ist gleichermassen fraglich. Zweifellos hat die eigentümliche Struktur des chinesischen Gemeinwesens nicht dieselben historischen Voraussetzungen geschaffen, die in Europa erst in der Neuzeit zur Formulierung der Menschenrechte geführt haben.
Gesetz war in China, soweit wir dies zurückverfolgen können, Verwaltungs- und Strafgesetz. Einklagbare Grundrechte, zumal gegen den Kaiser oder die Dynastie, haben sich nicht etabliert. Dennoch ist es unbestreitbar, dass chinesische Denktraditionen, zumal der Konfuzianismus, durchaus die normativen Bezugspunkte für eine Begründung von unveräusserlichen Grundrechten böten.
Der Neukonfuzianismus des 20. Jh., eine zugleich traditionsbezogene und progressive geistige Strömung, hat unter anderem genau dieses versucht. Indes stellt man im beginnenden 21. Jh. fest, dass nicht wenige von denen, die sich heute auf dem Festland den Konfuzianismus auf die Fahnen geschrieben haben, einen Grundkonsens des Neukonfuzinismus aufgekündigt haben: Die Überzeugung, Demokratie und damit eine rechtsbasierte Ordnung sei die Voraussetzung einer erfolgreichen Moderne. Vielmehr weht uns heute auch aus der „konfuzianischen“ Ecke ein durchaus autoritärer Wind entgegen.
Wenngleich nicht damit zu rechnen ist, dass der Konfuzianismus überhaupt eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der chinesischen Gesellschaft spielen wird: Dass er einen humanistischen Kern besitzt und durchaus Anhaltspunkte für einen Menschenrechtsdiskurs bietet, steht ausser Frage. Autoritarismus ist ihm wesensfremd. Der Widerstand gegen Willkür ist nicht nur ein wichtiges Motiv bei Menzius, dem zweiten konfuzianischen „Philosophen“ nach Konfuzius selbst; auch die konfuzianisch geschulte Beamtenschaft, die das dynastische China bis ins letzte Jahrhundert hinein nachhaltig geprägt hatte, wandte sich immer wieder gegen die Prinzipienlosigkeit kaiserlicher Machtausübung. Menschenrechte mögen dem Konfuzianismus fremd sein. Gewiss unvereinbar mit ihm aber ist die ungezügelte Willkür autoritärer Staatsmacht und die systematische Verletzung der Menschenwürde derer, die ihr schutzlos ausgeliefert sind.
Sprache |
Deutsch |
Zeit |
20. November 2014, 18:30-20:00 |
Ort |
Confucius Institute at the University of Basel |
Eintritt |
Frei |